Von der Idee zum Roman: Der rote Faden

Früher war ich Bauchschreiber. Jetzt plotte ich doch.

Kennt ihr das auch? Da ist diese tolle Idee, man legt los mit dem schreiben, hat einen tollen Anfang und weiß auch so ungefähr, wie es enden soll, und dann passiert es: der Mid-Book-Blues, das leere weiße Land auf der Karte, das die Mitte des Buches darstellt. Und da ist: nichts. nachdem es mir schon einige Male so gegangen ist, bin ich jetzt doch unter die Plotter gegangen.

Plotten? Was ist das eigentlich?

Im Grunde nichts weiter, als den roten Faden der Geschichte festzulegen, wenigstens in groben Zügen zu notieren, was wann wo und wie passieren soll. Das kann ein Fahrplan sein, der nur die wichtigsten Stationen des Romans festhält, ein Exposé, das die Handlung umreißt oder viele kleine Kapitel-Exposés oder Szenenzusammenfassungen, die ganz genau darstellen, was in welcher Szene passieren soll.
Möglichkeiten zum plotten gibt es viele – einige bevorzugen es ganz akribisch, detailreich und genau und arbeiten mit der Schneeflockenmethode. Mir persönlich ist das zu viel Arbeit. Ja, ich bin eine bekennende faule Plotsau und arbeite lieber mit einem knappen Leitfaden oder wenn’s hochkommt Kapitel-Exposés.

Dabei vergleiche ich meinen Roman immer ein wenig mit einer Oper und unterteile in „Akte“, wobei ich allerdings mein eigenes Konzept benutze und mich nicht unbedingt an die Aktaufteilung aus Schreibratgebern halte.
Im ersten Akt stelle ich meine Protagonisten vor, ihre Welt, ihr Leben. Ein Konflikt sollte sich schon von Anfang an abzeichnen, also gehört auch die Vorstellung des Antagonisten schon hierher, denn der Konflikt oder das Konfliktpotential ist es, das den Leser bei der Stange hält und was das Buch spannend macht.
In den zweiten Akt, die „schwierige Mitte“, sollte ein Wendepunkt, ein großer Knall, etwas, das den Protagonisten komplett von den Füßen reißt. Hier kann man sich als Autor austoben und seinem Ruf als „Figurenquäler“ gerecht werden. Der Leser soll mitleiden, darum ist es mir wichtig, immer ganz nah am Protagonisten zu sein und seine Situation nicht nur von außen zu beschreiben. Den Höhepunkt de Geschichte, die Stelle, an der es den Figuren am dreckigsten geht und an der alles auseinanderzufallen droht, lege ich gern ans Ende dieses zweiten Aktes.
Im dritten Akt, zum Ende hin, lösen sich die Fäden dann auf. Gibt es ein happy ending? Oder zumindest die Aussicht darauf? Finden meine geschundenen Figuren Frieden? Wie löst sich alles auf, welche Fragen werden beantwortet, welche bleiben eventuell sogar unbeantwortet? Diese Fragen sind es, die die Option auf eine Fortsetzung offen lassen.
Als Leser brauche ich persönlich nicht unbedingt ein happy ending im Sinne von „alles ist gut, alles ist rosa und alle freuen sich und haben sich lieb“. Ich möchte ein Ende, das mich zufriedenstellt. Das kann durchaus auch ein Ende sein, das den Tod einer liebgewonnenen Figur enthält oder eine Wendung, die nicht den kompletten Frieden bringt, ihn aber in Aussicht stellt.

Fortsetzungsroman: Erwählte des Zwielichts 3

Iloyon erwachte von einer heftigen Bewegung neben sich. Cianthara regte sich unruhig im Schlaf, sie zitterte, ihre ausgestreckte Hand schien nach etwas zu greifen, das nur sie sehen konnte, ihr Mund war zu einem stummen Ruf geöffnet. Iloyon nahm ihre Hand.
„Cianthara. Tien’sha. Wach auf!“ Er rüttelte sie sanft.
Mit einem Keuchen öffnete sie die Augen und starrte Iloyon an, als würde sie durch ihn hindurchsehen.
Iloyon hielt den Atem an. Ihre Augen. Sie waren so voller Schmerz, Sehnsucht und Angst, dass es ihm ins Herz schnitt. „Ich bin da, Tien’sha. Alles ist gut, ich bin da. Was hast du?“
„Iloyon.“ Sie ließ sich in die Felle zurücksinken und schmiegte sich an ihn. „Ich hatte wieder diesen Traum.“ Sie atmete tief durch. „Ich habe immer wieder denselben Traum. Seit Wochen schon. Und ich verstehe einfach nicht, was er mir sagen will.“
„Dann teile ihn mit mir. Vielleicht finden wir es gemeinsam heraus.“ Iloyon strich ihr sacht über den Rücken und hielt sie in seinem Arm. Diese ewige Müdigkeit macht uns allen zu schaffen. Wenn Cianthara sich nicht bald vollständig ausruhen kann, werden wir sie verlieren …
Er erinnerte sich nur zu gut an die Geschichten, die man sich im Heer erzählte. Schon viele Heiler hatten sich vollkommen aufgegeben, während sie versuchten, ihre Waffengeschwister vor dem sicheren Tod zu bewahren. Einige hatten in ihrer Erschöpfung den Verstand verloren und sich wie Wahnsinnige in die Schlacht gestürzt. Iloyon hatte selbst so einen Heiler gesehen.
Hört auf! Hört auf zu kämpfen! Bitte. Hört doch endlich auf.
Immer wieder hatte der Heiler diese Worte geschrien, dann war er gefallen, durchbohrt von Pfeilen mit hellen und dunklen Federn – Pfeilen beider Seiten. . Noch jetzt sah Iloyon den Gefallenen im Schlamm liegen, der vom Blut aller Völker getränkt war. Iloyon biss sich auf die Lippe. Niemals sollte Cianthara das Schicksal dieses Heilers teilen. „Erzähl mir davon.“
„Ich weiß nicht, wo ich beginnen soll. Ich sehe immer dieselben Bilder. Einen Vollmond, der langsam zum Neumond abnimmt. Eine Weile steht am Himmel ein schwarzer Mond, dann nimmt er wieder zu, ich sehe eine Mondsichel, über der Sterne tanzen. Die Sterne scheinen hell, ich habe noch niemals Sterne so leuchten sehen. Und sie weinen. Tropfen fallen von ihnen herab und berühren die Erde. Aber es ist kein Wasser, das von den Sternen fällt. Es ist blausilbernes Feuer, wunderschön. Dann sehe ich mich selbst unter diesem Feuerregen tanzen, ich bin nackt, aber ich friere nicht. Ich fühle mich geborgen. Die Sterne singen für mich. Und dort, wo ihr Feuerregen mich berührt, bleiben auf meiner Haut silberne Male zurück. Ich will immer weitertanzen, ich will all diese Feuertropfen auffangen. Mir ist, als würde ich mit jedem Tropfen, der mich trifft, stärker. Der Wind spielt mit meinem Haar, er singt ein Lied von Wärme und Liebe. Ich habe keine Angst. Ich fühle mich unglaublich wohl. Ungebunden und frei. Stark, schön und stolz. Ich weiß auf einmal ganz genau, wer ich bin, was ich kann und warum ich lebe, alles ist so klar. Aber dann ändert sich alles wieder, ich stehe auf dem Schlachtfeld, um mich herum sterben meine Gefährten, und ich stehe bis zu den Knien in Schlamm und Blut. Über mir vergeht das Feuer der Sterne. Es kann nicht alle Verwundeten heilen. Ich bleibe zurück und strecke die Hand nach dem Mond aus, der nun wieder schwarz ist, und ich flehe die Sterne an, zurückzukommen. Aber sie kommen nicht wieder. Ich bin allein. Und um mich sterben alle.“ Sie schluckte.
Iloyon sah die Tränen, die sie wegblinzeln wollte. Sacht strich er sie weg. „Ich glaube, du siehst, was ich tief in mir fühle. Ich frage mich schon seit langem, ob überhaupt noch irgendjemand weiß, wofür wir eigentlich kämpfen. Worum geht es? Lichtelfen gegen Dunkelelfen? Tag gegen Nacht, hell gegen Dunkel?“


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Cairiel Ari: Der Herr der schwarzen Schatten

Als der Schreiber Okladre den gefangenen Herrn der Schwarzen Schatten Draye im Kerker aufsucht, um sich seine Lebensgeschichte berichten zu lassen, ist Draye kaum mehr als ein Schatten seiner Selbst. Auf die drängende Bitte des Schreibers hin lässt sich der gefallene Rebellenführer darauf ein, seine Lebendgeschichte zu erzählen – und erzählt eine Geschichte von Verlust, Krieg und Verrat.

Draye, damals noch Thaera, ist der Ayre, der Kaiser – und doch ist er es nicht, wie er nach kurzer Regentschaft erfahren muss. Schon seit Jahren befindet sich seine Heimat unter dem Einfluss des Nachbarreiches Ledapra, seine eigenen Soldaten sind Mörder und Räuber, seine Mutter gefangen. Thaera fühlt sich wie aus einem Traum aufgeschreckt, als er erkennt, dass sein bisheriges behütetes Leben aus Samt, Seide und Reichtum nichts als eine Lüge ist. Die Wahrheit erschüttert ihn, zerbricht ihn beinahe – doch dann setzt eine interessante Entwicklung ein, die Cairiel Ari glaubhaft in seinem Roman beschreibt: die Entwicklung des verzärtelten Marionettenkaisers zum bissigen Rebellenführer, den die Ledaprer irgendwann so sehr fürchten, dass sie alles daransetzen, ihn mundtot zu machen und ihn zu zerbrechen.
Schließlich ist es Verrat aus den eigenen Reihen, der Draye zu Fall bringt, doch sei hier nicht verraten, wer der Verräter ist, das sollte jeder interessierte Leser am besten selbst herausfinden.
Am Ende bleibt der Leser mit einigen Fragen zurück, auch wenn das Ende ihn zufriedenstellen wird. Ich zumindest warte sehr gespannt auf die Fortsetzung.

Das Buch ist spannend geschrieben, Cairiel Ari hat einen flotten, lockeren Schreibstil, der es mir leicht gemacht hat, immer aufmerksam bei Draye und seinen Freunden zu bleiben. Möge die Fortsetzung nicht zu lange auf sich warten lassen.