Kinderbuchschätzchen

hummerklippenVor einer Weile habe ich mich mit meiner Gesangslehrerin beim Katzenkaffee (dem gemeinschaftlichen Kaffeetrinken und Keksevernichten nach erfolgreichem Katzensitterdienst) über Bücher unterhalten, die wir auf eine einsame Insel mitnehmen würden. Dass von den berühmten drei Dingen, die man auf die berühmte einsame Insel mitnehmen darf, zumindest eines ein Buch sein muss, da waren wir uns ziemlich schnell einig. Doch als uns beim aufzählen möglicher Buchkandidaten auffiel, was wir denn auf jeden Fall für unsere Robinson-Crusoe-Erfahrungen einpacken würden, kamen wir doch ins Nachdenken – denn sowohl in ihrer als auch in meiner Aufzählung nahmen ältere Kinder-und Jugendbücher sehr großen Raum ein. Ihr Favorit war James Krüss, meine (da ich gestehen musste, dass sich meine Erfahrungen mit James Krüss auf die Lektüre von Romanauszügen und Gedichten in Schul-Lesebüchern beschränkten) Favoritin Astrid Lindgren, Otfried Preußler und Michael Ende. Wir kamen regelrecht ins Schwärmen, als wir uns die Titel unserer Kinderbuchschätze wie Schokolade auf den Zungen zergehen ließen. „Der Leuchtturm auf den Hummerklippen“ von James Krüss, oder seine Geschichten vom kleinen und vom großen Boy: „Mein Urgroßvater und ich“ oder „Mein Urgroßvater, die Helden und ich“. „Mio mein Mio“ von Astrid Lindgren, ihre unbezähmbare „Ronja Räubertochter“, die wunderbar schöne heile Welt der „Kinder aus Bullerbü“ oder die freche „Pippi Langstrumpf“ (was uns zum Überlegen brachte, wie denn die vielen Vornamen der langbestrumpften jungen Dame nun lauten… na? Wisst ihr es noch?). Michael Endes „Momo“ ist mir ebenso eine treue Wegbegleiterin geworden wie Otfried Preußlers „Krabat“ und ich weiß jetzt noch, wie ich im Kindergarten „Das kleine Gespenst“ und den „kleinen Wassermann“ geliebt habe, oder „Die kleine Hexe“.
Ich gebe zu – ich liebe all diese Bücher und ich lese sie immer wieder gerne und ich bin immer wieder überrascht, was diese Bücher auch uns Erwachsene noch lehren können. Wenn ich sage „ich habe keine Zeit“, dann sehe ich ein wuschelhaariges Mädchen in buntem Rock und viel zu großer Männerjacke vor mir stehen, die eine Schildkröte auf dem Arm trägt. Momo hat mir beigebracht, dass es dieses „keine Zeit haben“ gar nicht gibt, denn zeit ist ja da – ich muss sie mir nur einteilen, sie gut und weise nutzen und wichtige Dinge vor unwichtige stellen. Es gibt Tage, da brauche ich ein bisschen von Pippi Langstrumpfs Frechheit, und solche, an denen ich mir eine Scheibe der philosophischen Gelassenheit des großen Boy in der Hummerbude abschneiden sollte. Es gibt tage, da will ich mich einfach nur wegträumen und in einem Märchen versinken, und dann gehe ich mit Mio auf die Suche nach den verschwundenen Kindern und kämpfe gegen Ritter Kato. Und lerne zugleich noch, dass ich kein großer strahlender Held sein muss, um gegen die Widrigkeiten des Lebens zu bestehen. Es reicht, Brot zu haben, das Hunger stillt, Wasser, das Durst löscht und einen Zauberlöffel, der immer wieder Kraft gibt. Meine Kinderbuchschätze sind für mich solche Zauberlöffel. und ich bewundere ihre Autorinnen und Autoren, die es geschafft haben, mich ohne Moralkeule und oberlehrerhaften Holzhammerton an das zu erinnern, was im Leben wirklich zählt.
Kramt sie doch mal wieder heraus, diese Kinderbuchschätze, die auch für uns Große Fundgruben sein können. Lest „Die Brüder Löwenherz“ mit jemandem, ob groß oder klein, der den Tod nahen sieht und sich fürchtet. Gebt „Momo“ denen an die Hand, die keine Zeit haben. Mit denen, die über das Sprache und Helden philosophieren wollen, besucht den großen und den kleinen Boy, und nehmt den mit auf die Hummerklippen, die Geschichten und Gedichte lieben. Und wer weiß – vielleicht schreibt ihr dann auch eines Tages Gedichte auf Kiefernbretter und Geschichten auf die Rückseiten von Seemannskalendern, Teetüten und Tapetenrollen. Denn dafür sind Rückseiten praktisch. Hat mir der alte Boy verraten.

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