Helen B. Kraft: Höllenjob hoch zwei – wunderbar respektlos!

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Man hat’s nicht leicht, wenn man ein Dämon ist, schon gar nicht so ein gutaussehender wie Shati… pardon, Shatan. Höllenfürstin Luzifer hat es in jeder Hinsicht auf ihn abgesehen. Und dann bekommt er auch noch die undankbare Aufgabe, in die Welt der Menschen zu gehen und Luzifers Tochter zu suchen – die zugleich auch noch Tochter des Allmächtigen ist. Die bildhübsche Evangelina führt ein ganz normales Erdenmenschenleben und hat keine Ahnung von ihrer göttlich-höllischen Verwandtschaft – eine Tatsache, die sich schnell ändert, als auf einmal nicht nur Shatan, der muskulöse Dämon mit dem sexy Quastenschwanz, in ihrer Wohnung auftaucht, sondern auch noch der etwas tumbe Erzengel-Kraftprotz Gavarel mit seinem Flammenschwert. der Erzengel nämlich denkt pragmatisch – tötet er Evangelina, ist sie für immer sicher vor ihre höllischen Mutter, denn dann landet sie schließlich direkt im Himmel.
Herrlich respektlos und humorvoll jongliert Hellen B. Kraft mit Gott und der Welt, Dämonen und Engeln, taxifahrenden Kali-Jüngern und einem immer noch unter uns weilenden Gottessohn samt passenden Latschen und Gras in der Tasche, wenn sie Shatan und Evangelina durch ihre abenteuerliche Flucht vor dem Zorn Gottes und einer aus den Ohren qualmenden Luzifer führt. Herrlich dabei die staubtrockenen Kommentare der körperlosen Stimme Gottes, Metatron, der sich immer wieder andere menschliche Wirte suchen muss, durch deren Mund er dann spricht – was häufiger mal zu Verwirrung führen kann.
Der Schreibstil ist flüssig und gespickt mit Humor und Wortwitz. „Höllenjob für einen Dämon“ ist eine rasante, skurrile, romantische Komödie für alle, die ihren Sinn für Spaß nicht vollkommen verloren haben und auch mit dem sehr augenzwinkernden Umgang mit Kirche und christlicher Mythologie umgehen können. Ein Höllenjob für einen Dämon, aber ein Höllenspaß für den Leser!

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Und es geht weiter.
Nachdem Evangelina und Shatan es zum ersten himmlich-höllischen Liebespaar geschafft haben, bekommt diesmal eine wirklich höllische junge Dame Probleme. Lilith, Tochter von Luzifer und Asmodeus und indirekt Schuld daran, dass Luzifer wegen Ehebruchs aus den himmlichen Gefilden flog, wird beschuldigt, Hamit-Häpächät, das erste Wächterschwert, gestohlen zu haben. Lilith, die für ihre Intrigen aus dem ersten „Höllenjob“-Band in den Himmel verbannt wurde und dort nun im weißen Seidenkleidchen unter der Aufsicht des Seraphen Ravael Harfe üben muss, ist sich keiner Schuld bewusst. Dennoch: Lilith muss es gelingen, das Wächterschwert innerhalb von drei Tagen zurückzubringen, sonst rollt ihr Kopf. Ravael wird an ihre Seite gestellt – gestraft mit kleinen rosa Puschelflügelchen. Seine bronzenen Seraphenschwingen hat der Allmächtige einbehalten, da er denkt, Rave hätte nicht ordnungsgemäß auf die kleine Chaotin Lilith aufgepasst. Auf der Erde schließen sich Lilith und dem wirklich sexy Ravael der schon bekannte Shatan an, sowie der gefallene Engel Elegoth und ein flammender, sprechender Kaktus namens Ingo. Sorry. Inglorius.
Ob diese Chaostruppe, begleitet von Metatron, es schaffen kann, das Wächterschwert wiederzufinden, und wer nun tatsächlich an diesem niederträchtigen Diebstahl Schuld ist, das sollte man besser selbst lesen, denn keine Zusammenfassung kann Helen B. Krafts humorige Schreibe wirklich wiedergeben.
Die Frage, ob es gelungen ist, nach dem „Höllenjob für einen Dämon“ einen würdigen Nachfolger zu bringen, kann man nur mit Ja beantworten – Höllenjob für einen Seraph ist mehr als das. Dieses Buch ist düsterer, bissiger, respektloser und dabei ebenso witzig, spannend, romantisch und sexy wie sein Vorgänger. Helen B. Kraft ist es gelungen, eine dichte, spannende Geschichte zu weben und einen ganz neuen Blickwinkel auf Himmel und Hölle zu werfen.
Und am Ende stellen wir fest: Dämonen und Seraphen, Götter und Höllenfürstinnen sind irgendwie auch nur Menschen. Ein Höllenspaß, wieder einmal.

Yann Martel: Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger

Der Inder Pi ist ein ungewöhnlicher Junge.
Dank seines schwimmwütigen Onkels wurde er nach einem Pariser Schwimmbad mit dem Vornamen „Piscine Molitor“ bedacht.
Dank seiner Offenheit, seiner Neugier, seinem Interesse für Religion und seiner „Warum denn nicht“-Einstellung wurde er schon als Kind gläubiger Hindu, Christ und Moslem. Alles zugleich. Kompromisslos, ehrlich und auf seine Art gottesfürchtig.
Dank der Tatsache, dass sein Vater, ein Zoobesitzer, eines Tages beschließt, mit der Familie und den Zootieren nach Kanada auszuwandern, findet er sich schon bald in misslicher Lage. Der Tanker, der die Familie Patel und den halben Zoo mitnimmt über den großen Teich, kentert, und Piscine „Pi“ Patel ist schiffbrüchig. Zusammen mit einem ausgewachsenen bengalischen Tiger namens „Richard Parker“. Anfangs teilt er sein Rettungsboot zusätzlich mit einem Zebra mit gebrochenem Bein, einem Orang-Utanweibchen, das auf einem Netz voller Bananen schwimmend das Boot erreichte, und einer missgelaunten Hyäne. Doch nachdem die Hyäne das Zebra gefressen, die Orang-Dame mit der Hyäne kurzen Prozess gemacht und der Tiger schließlich über den Orang hergefallen ist, sind sie tatsächlich allein: der Inder und der Tiger, mitten auf dem Pazifik. „Life of Pi“ schildert die skurrile, herrlich schräge, tragikomische Geschichte der beiden ungleichen Schiffbrüchigen, tiefsinnig und philosophisch, spannend und voller Fragen, von denen die Interessanteste am Ende des Buches aufkommt. Wenn nämlich der gerettete Pi im Krankenhaus in Mexiko von zwei Angestellten der japanischen Reederei über den Untergang des Tankers befragt wird, und Pi nicht nur die Geschichte seines Schiffbruchs mit Tiger erzählt, sondern auch noch eine andere, sehr viel bitterer und traurigere.
Der Leser entscheidet am Ende selbst, welche Version der Geschichte über Pis Schiffbruch er lieber glauben möchte.
Lest selbst. Und findet vielleicht eine erstaunliche Antwort auf die Frage nach der Wahrheit.
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Sabrina Zelezný: Kondorkinder – die Suche nach den verlorenen Geschichten

Wenn man Bücher hören könnte, dann klänge „Kondorkinder“ nach dem Wind, der über die Hochplateaus der Anden weht, und nach dem Flügelschlag eines mächtigen Vogels. Wenn ein Buch nach etwas riechen würde, dann röche „Kondorkinder“ nach Staub und Sonnenlicht, nach Mais und Lamawolle. Wenn ein Buch nach etwas schmecken würde, dann schmeckt „Kondorkinder“ ganz sicher nach Maisbier und Karamell, und auch ein bisschen nach Salz und Tränen, bittersüß und geheimnisvoll. „Kondorkinder“ erzählt von lebendigen Geschichten, von Gegensätzen und Vorurteilen, von Welten, die aufeinanderprallen und von dem Versuch, beide Welten auf friedliche Weisemiteinander zu verbinden. Es erzählt von einer Reise, die niemals endet und von einer Aufgabe, die mit jedem Schritt auf dem Weg ihrer Erfüllung größer wird.
„‚Bücher sind schön, Herr‘, heißt es im Klappentext, ‚Sie erzählen Geschichten. Sie sagen uns, wer wir sind. Sie sind gut, um nicht zu vergessen. Bücher sind unsere Seelen aus Papier. Aus Tinte. Darum ist Büchermachen gut, es ist Leben. Darum will ich Büchermachen lernen.‘ So bittet Yawar um eine Lehrstelle beim Meisterbuchbinder. Er sollte der Hüter des Spiegelbuches sein, das Zuflucht der Geschichten des Hochlandes ist. Doch dann wurde das Spiegelbuch zerstört, und die Geschichten streifen nun heimatlos umher. Im Auftrag der Berggötter muss Yawar ein neues Spiegelbuch schaffen. Bald ist das Ziel zum Greifen nah, aber er hat einen mächtigen Fluch auf den Fersen.“
Yanakachi hat nur ein Ziel – ihren Sohn Yawar zu beschützen, vor der Vergangenheit, vor einer möglichen Zukunft und vor der Macht des geschriebenen Wortes. Doch auch Yanakachi kann ihrer Vergangenheit nicht entfliehen. Als sie eines Nachts den verletzten Kondor vor ihrer Hütte findet, beginnt eine Geschichte, der weder Yanakachi, noch Yawar entkommen können. Yawar soll der Yuyaq sein, der Hüter des Spiegelbuches, in dem die alten Geschichten der Andenvölker aufgeschrieben stehen und wie ein Schatz gehütet werden, damit sie niemals in Vergessenheit geraten. Denn wer seine Geschichte verliert, das wissen die Rebellen, die sich Kondorkinder nennen, der verliert sich selbst. Yawar will sich der Aufgabe stellen – doch es kommt alles ganz anders. Das Buch wird zerstört, ein Fluch beginnt sein dunkles Leben und das einzige, was den Fluch abwenden kann, ist die Erschaffung eines neuen Spiegelbuches für die Geschichten, die in dem Augenblick, in dem das Buch vernichtet wurde, heimatlos wurden.
„Kondorkinder“ ist ein Roman voller Poesie. Er entführt den Leser in die Anden, in das Peru der spanischen Kolonialherrschaft, in der die Welt der Indios und die Welt der spanischen Macht aufeinanderprallen und gegensätzlicher nicht sein können. Er erzählt von dem Streben der Hochlandbewohner, sich selbst nicht zu verlieren unter dem Einfluss der Spanier, vom Bewahren alter Geschichten und dem Bewahren der eigenen Identität. Sabrina Zelezný schreibt so, dass man vom ersten Augenblick an in die Geschichte hineingesogen wird, so als sei „Kondorkinder“ selbst so eine lebendige Geschichte, die in das Spiegelbuch gehört. Man merkt der Autorin an, wie sehr sie die Andenwelt liebt und wie intensiv sie sich mit ihr befasst hat. „Kondorkinder“ ist spannend und poetisch, romantisch und bittersüß, zum Heulen traurig und zum Schreien komisch. Die Figuren schleichen sich in das Herz des Lesers, jede einzelne plastisch und lebendig – und in ihrem Handeln, so bitter es manchmal auch sein mag, nachvollziehbar. Der Abschied von Yanakachi, Yawar und Isabel, von Mismi und Sabancaya und vor allem von „Tschakka Alpaka“ Chaski fiel mir richtig schwer. „Kondorkinder – die Suche nach den verlorenen Geschichten“ ist ein Buch, das ich sicherlich nicht nur einmal lesen werde. Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie es mit dem Spiegelbuch weitergeht. In „Kondorkinder – der Fluch des Spiegelbuches“.
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