Out of Happyland

Ich rede in diesem Blogbeitrag über Rassismus. Und ich möchte gerade die, die jetzt die Augen verdrehen und wegscrollen wollen, bitten: bleibt einen Moment bei mir. Nehmt euch die Zeit, diesen Eintrag zu lesen, denn er ist mir wichtig.


Der Auslöser? Ich bin seit gefühlten Ewigkeiten Mitglied im Fantasy-Autor*innen-Forum Tintenzirkel. Ich bin Gründungsmitglied, ich bin dabei, seit der Zirkel als kleine Yahoo-Mailingliste seinen Anfang genommen hat. Ich wurde vor einigen Jahren Moderatorin. Durch den Tintenzirkel habe ich den Mut gefunden, zu versuchen, meine Romane zu veröffentlichen. Ich liebe das Schreiben, es ist ein essenzieller Bestandteil meines Lebens, und der Tintenzirkel ist für mich untrennbar mit meinem geliebten Nebenjob „Fantasyautorin“ verbunden.


Seit ein paar Tagen ist er für mich aber auch mit anderen Dingen verbunden: mit allerübelsten rassistischen Äußerungen einiger Mitglieder – und mit meinem Schweigen. In Situationen, in denen Schweigen das Schlimmste war, was ich hätte tun können. Denn durch mein Schweigen, durch meine Müdigkeit und meine Angst vor Konfrontation und Konflikt sind diese rassistischen Äußerungen so gut wie unkommentiert stehengeblieben und haben PoC in diesem Forum tief verletzt – und sie haben nicht geschwiegen. Ich bin dafür dankbar, denn dieses Nicht-Schweigen hat in mir einen Lernprozess angestoßen. Hat mich dazu geführt, meine eigenen Denkmuster zu hinterfragen. Mich zu informieren, zu lesen, mich mit Rassismus und dessen Wurzeln zu befassen, die viel tiefer liegen als weiße Menschen im Normalfall vermuten. Ich gehöre auch zu den weißen Menschen, die in der Schule nichts über den deutschen Kolonialismus in Afrika gelernt haben. Aber mit dem Wissen, das ich zu sammeln begonnen habe und mit dem ich mich gerade beschäftige, fange ich an zu sehen. Die Autorin des Buches exit racism, Tupoka Ogette, beschreibt den Lernprozess, das Umdenken, das Hinterfragen und analysieren der eigenen Gedanken als den Weg aus Happyland. Happyland, das ist die Art von Leben, in der ich all die Mikroaggressionen, all den Alltagsrassismus nicht sehen konnte oder wollte. In dem ich ihn als „nicht so schlimm“ angesehen habe, als „das war doch schon immer so“, „das ist Tradition“, bei Büchern, in denen das N-Wort vorkommt, als „das ist Literatur, das schrieb man damals eben“. Der Weg aus Happyland heraus tut weh. Lernen tut weh. Eigene Denkmuster sind liebgewonnene Gewohnheiten, und Gewohnheiten sind etwas, von denen ich mich nur schwer lösen, die ich nur schwer ablegen und durch neue Handlungsmuster ersetzen kann.


Ich erkenne aber, dass ich es in diesem Fall dringend tun muss. Ich muss erkennen, dass ich weiße Privilegien habe. Der Gedanke ist erst einmal unangenehm, denn ich habe mich nie besonders privilegiert gefühlt. Ich bin nicht besonders schön, nicht besonders schlank, nicht superreich und auch nicht mega erfolgreich.

Aber darum geht es bei der Betrachtung von weißen Privilegien auch gar nicht, und das musste ich erst mal verstehen. Weiß zu sein bedeutet, dass ich nicht „die andere“ bin, wenn ich in einen Raum voller weißer Menschen komme. Es bedeutet, dass ich sehr wahrscheinlich nicht abgelehnt werde, weil ich weiß bin, wenn ich mich auf einen Job bewerbe, sondern weil etwas anderes nicht passt. Ich werde nicht abgelehnt, weil ich weiß bin, wenn ich eine Wohnung nicht bekomme. Ich werde nicht ständig gefragt, woher ich komme, und niemand greift mir ungefragt in die Haare.
Ich fange an, in meiner eigenen Sprache Formulierungen zu finden, die rassistisch sind und kolonialistisch. Wie leicht sage ich zu jemandem, der mich um was bittet und ich habe keine Lust dazu, sowas wie: „Ich bin doch nicht dein Sklave“. Ich wäre vor der Beschäftigung mit dem Thema nie auf die Idee gekommen, dass diese Aussage rassistisch aufgefasst werden könnte. Ich fühle mich damit aber nicht mehr wohl.

Ich fange an, Kinderbuchklassiker zu hinterfragen. Das Gefühl von „das ist Literatur, da darf man das“ wird von „nein, das geht GAR nicht“ überholt. Nein, es geht in der heutigen Zeit nicht mehr, dass das N-Wort in Kinderbuchklassikern stehen darf, und ich würde meinen Kindern, wenn ich denn welche hätte, Jim Knopf nur im Zusammenhang mit kritischer Auseinandersetzung vorstellen und sie es nicht alleine lesen lassen.

Ich erkenne, dass ich bei einem eigenen, schon älteren Romanprojekt von mir in die Kolonialismusfalle getappt bin, indem ich eine Fantasywelt erschaffen habe, in der weiße Entdecker*innen auf ein ohne Probleme als indigen zu lesendes Volk stoßen und versuchen, diesem ihren Glauben aufzuzwingen, ihre Zivilisation, versuchen, es mit billigen Geschenken auf die eigene Seite zu ziehen. Super, Tina. Nicht. Ich habe Stereotype reproduziert, die von Kolonialismus geprägt sind, und damit ein rassistisches Setting geschaffen. Die Romane sind inzwischen auf meiner Inhaltswarnungen-Seite mit den entsprechenden content warnings versehen, gehen gerade durch ein sensitivity reading, und ich habe einen Deal mit meiner Verlegerin, dass ich, wenn notwendig, passagenweise überarbeiten werde.

Ich weiß, dass ich einen weiten Weg vor mir habe, und dass ich sicher auch immer wieder in mein altes Happylandverhalten zurückfallen werde. Ich will an mir arbeiten. Und ich werde nicht mehr schweigen, wenn es an der Zeit ist zu reden.

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